2 Soziales Leben, 2.3 Soziale Fertigkeiten

2.3.1 Gebrauch von Mimik und Gesten



Hans Asperger: Heilpädagogik 1965: (...) Besonders deutlich ist die Störung beim Gespräch mit anderen. Es taucht dabei nicht Blick in Blick, auf diese Weise die Einheit des Gesprächskontaktes herstellend – wenn man mit jemanden redet, so „antwortet“ man ja nicht nur mit dem Wort, das nur die Bestimmung hätte, einen abstrakten Inhalt darzutun, sondern vielmehr noch mit dem Blick, mit dem Ton der Rede, mit dem Ausdruck seiner Miene und seiner Gesten; gerade die thymischen Beziehungen, also das, was vor allem anderen Mensch an Menschen bindet, spielen sich in diesen letztgenannten Erscheinungen ab. Daran ist aber das autistische kontaktgestörte Kind gar nicht interessiert. Es schaut darum den Sprechenden meist gar nicht an, sein Blick geht an ihm vorbei, streift ihn höchstens hie und da so beiläufig. Es ist überhaupt bezeichnend, dass diese Kinder nicht mit fest zupackendem Blick schauen, sondern so, als würden sie mehr „mit dem peripheren Gesichtsfeld“ wahrnehmen. (S. 178)





Hans Asperger: Heilpädagogik 1965: (...) Niemals fehlen die charakteristischen Eigenheiten des Blicks. Es ist auch nicht verwunderlich, dass sich eine Kontaktstörung vor allem in dieser Ausdruckserscheinung kundtut: ist es doch der Blick, der an erster Stelle, vor allen anderen mimischen Vorgängen, Kontakt schafft. Von dem Zeitpunkt an, da ein Kind „schauen“ kann, also vom dritten Lebensmonat an, lange bevor es sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten hat, spielt sich ein Großteil seiner Beziehungen mit der Umwelt über den Blick ab. Wie trinkt nicht das kleine Kind mit staunenden Augen die Welt in sich hinein, wie spiegelt sich die Spannung dieses ersten Besitzergreifens im Blick, wie spricht es seine Gefühle mit den Augen aus, noch viel ungehemmter als der Erwachsene, der sich zu distanzieren und zu verbergen gelernt hat. Grundsätzlich anders ist es bei den Autistischen. Kaum je haftet der Blick auf einem bestimmten Ding, auf einem bestimmten Menschen und zeigt so die wache Aufmerksamkeit, den lebendigen Kontakt an. (S. 178)





Blickzwänge



Gabrijela Mecky Zaragoza,.: Meine andere Welt; Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 2012

„Blickkontakte sind für mich anstrengend und können mein Wohlbefinden empfindlich stören, zumal in Blickregelungen die Mehrheitsregel greift: Was für viele gut ist, wird für alle zum Muss. In westlichen Kulturräumen bedeutet das, dass ausgiebige Blickkontakte eine Schlüsselrolle in der menschlichen Kommunikation spielen und die meisten Menschen (...) über wahrgenommene Blickeigenschaften Rückschlüsse ziehen: auf die Aussage eines Menschen, auf seine Stimmung, auf sein Wesen. Ich fühle mich von den herrschenden Blickgewohnheiten eingeengt, ja eingesperrt, es ist fast so, als werde ich durch sie in ein Zwangsjäckchen gesteckt, das statt meiner Arme und Hände meine Gedanken und Gefühle knebelt. Aber nicht nur das: Sie tun mir oft regelrecht weh, diese fremden Blicke, sie stechen und schmerzen wie kleine Nadeln, mit ihnen es ein bisschen wie mit beißendem Neonlicht.“ S. 38 / 39







Missverständnisse



Hedwig: Wenn ich mich auf das Gesprochene von anderen Menschen konzentriere, muss ich ihnen auf den Mund sehen, weil ich sonst Schwierigkeiten habe, mich auf diese Geräusche neben all den anderen zu konzentrieren. Dabei blinzele ich wahrscheinlich nicht oder nur selten, sodass andere Menschen den Eindruck erhalten, ich würde sie (feindselig) anstarren.

In einer Berufsschule wurde ich vor die Wahl gestellt: Entweder ich unterlasse es sofort, die Lehrerin so anzustarren oder ich müsste den Unterricht vor der Tür verbringen. Die Lehrerin erklärte der gesamten Klasse, dass ich der leibhaftige Teufel sei. Mit solchen Augen. So etwas wollte sie in ihrem Unterricht nicht haben.

Ich verstand erst gar nicht, was ich falsch gemacht haben sollte. Schließlich saß ich doch bloß in ihrem Unterricht und versuchte mich auf diesen zu konzentrieren.

Arroganz wird mir oft vorgeworfen, was manchmal auch traurig ist. Häufig geschieht dies durch mein Unvermögen, Gesichter wiederzuerkennen. In der Regel verläuft die Kommunikation diesbezüglich über Dritte und nicht mit mir persönlich.

So hat sich eine Freundin meiner Schwester bei ihr über mich beschwert, dass ich so unglaublich arrogant sei und sie auf der Straße nicht grüßen würde, sie dadurch vor allen anderen Menschen lächerlich machte, weil ich sie angeblich ignorieren würde. Meine Schwester versuchte ihr zu erklären, dass das von mir keine Absicht ist, doch sie bleibt dabei, dass sie mit mir deswegen nichts mehr zu tun haben will und auch nicht mehr freundlich zu mir sein will.

Besonders tragisch sind Fehldeutungen durch Männer. Nur bin ich mir noch nicht sicher, ob es Fehldeutungen sind oder Absicht. Sie denken oft, ich sei an ihnen interessiert, nur weil ich mich zum Verstehen der Sprache so intensiv auf die Münder konzentrieren muss, was wohl als volle Aufmerksamkeit an ihrer Person missverstanden wird.

Solche Menschen werden richtig anhänglich und ich weiß nicht, wie ich sie wieder loswerden soll. Vielleicht steigert mein Desinteresse an ihnen ihr Interesse an mir, wenn ich mich wieder mit anderen Dingen beschäftige und ihrem Sprechen nicht mehr folge. Möglich, dass sie das für gespielte Schüchternheit halten.

Dies alles macht soziale Situationen sehr kompliziert. Wenn ich dann meine Sichtweise zu erklären versuche und die nicht der anderen Meinung entspricht, gilt das als Lüge.







Mimik



Sabine Kiefner: Ich bin Autistin - Asperger Syndrom bei Frauen:


Was machst du bloß für ein Gesicht? 

 
Was machte ich denn für ein Gesicht?
Ich wusste nicht, was diese Frage zu bedeuten hatte.
Ich empfand mein Gesicht als ganz normal, wenn ich in den Spiegel sah.
Ein Normalgesicht, wie das der anderen. Ich konnte keinen Unterschied feststellen, egal, wie lange ich mich im Spiegel betrachtete.
Auch auf den Fotos fiel mir nicht auf, was mein Gesicht offensichtlich von den anderen unterschied.
Also fragte ich, was an meinem Gesicht anders sei.
Sie sagten, ich würde immer so ein langes Gesicht machen. Das verstand ich nicht. Was hatte das zu bedeuten – ein langes Gesicht?
Mein Gesicht war nicht länger als das der anderen und ich bemühte mich auch nicht, es in irgendeiner auffälligen Weise zu verändern.
Es war mein Gesicht und es sah jeden Tag gleich aus.
Aber es war nicht lang.
Manchmal stand ich unbeobachtet im Flur vor dem Spiegel und versuchte, meinen Gesichtsausdruck zu verändern.
Meist waren es Grimassen, die mir ein seltsames Aussehen gaben und die ich nicht lange halten konnte, weil es sehr anstrengend war, das Gesicht so extrem zu verziehen.
„Immer machst du ein so ernstes Gesicht. Dabei würde dir ein Lächeln viel besser stehen.“
Ein Lächeln. Das war es also, was ihnen in meinem Gesicht fehlte – ein Lächeln.
Warum würde mir ein Lächeln besser stehen?
Was veränderte ein Lächeln an meinem Gesicht?
Ich probierte es aus, um ihnen einen Gefallen zu tun.
Aber meine Versuche, ein Lächeln auf mein Gesicht zu bekommen, scheiterten.
Es war mehr ein Grinsen, was dabei herauskam.
Verkrampft, verbissen oder komisch.
War es das, was sie wollten?
Ich wollte es nicht.
Ich schaffte es auch nicht.
Außerdem irritierten mich lächelnde Gesichter.
Ich verstand nicht, was sie zu bedeuten hatten.
Lachte mich jemand mit einem lächelnden Gesicht an oder aus oder lachte er über mich?
Lächelnde Gesichter verunsicherten mich.
Ich sah Menschen sowieso nicht gerne ins Gesicht, sondern wich ihren Blicken lieber aus.
Warum war es überhaupt wichtig, was für ein Gesicht ich machte, zumal mir gar nicht bewusst war, dass ich ein Gesicht machte.
Mein Gesicht war einfach da – so, wie es ist. Ich machte es nicht.
Später erfuhr ich, dass sie mein fehlendes Lächeln dahingehend interpretierten, dass ich traurig oder schlecht gelaunt sei.
Das habe ich überhaupt nicht begreifen können.
Ich fühlte mich nicht traurig, weil ich nicht lächelte.
Ich war auch nicht schlecht gelaunt.
Ich war nur ich selber.
Und mein Gesicht war ganz normal – meines eben.





Nonverbale Signale einsetzen



Dr. Christine Preißmann: ..und dass jeden Tag Weihnachten wär. Weidler Buchverlag: (...) Ich glaube ich wirke in sozialen Situationen oft sehr ablehnend und abweisend, vielleicht auch durch den mangelnden Blickkontakt. Daher traut man sich wohl nicht immer, mich anzusprechen. Ich bin aber darauf angewiesen, dass der andere den ersten Schritt macht. Falls dies nicht geschieht, ist das Gespräch häufig nach einer Begrüßungsformel schon wieder zu Ende, bevor es richtig begonnen hat, falls sich überhaupt ein solcher Kontakt entwickelt. Vielleicht wäre es also wichtig, hier anzusetzen und den nonverbalen Erstkontakt zu trainieren, aber diese Dinge wie Mimik, Gestik und Körpersprache sind sehr, sehr schwer für mich. Ich kann sie oft nicht deuten, und ich kann sie schon gar nicht selbst einsetzen. (S. 110/111)





Dianas Aspergerseite: (...) Aus mehreren Gründen vermeide ich es möglichst, Menschen in die Augen zu sehen.

(1.) Absorbierende Tiefe. Irgendwo habe ich gelesen, die Augen seien eine Art "Spiegel der Seele". Ich habe keine Ahnung, was Menschen sehen, die mir in die Augen schauen, aber wenn ich dies bei anderen versuche, und zwar "voll bewusst" und vollständig emotional anwesend, dann ist es, als würde ich von dem Menschen verschlungen werden. Es ist ein echtes Grauen. Es tut fast körperlich weh in den Augen.

(2.) Ablenkung von allem, was geredet wird. Ich kann niemandem zuhören, wenn ich dabei darauf achten muss, in die Augen zu schauen. Wenn ich jemandem zuhöre, dann schaue ich lieber auf unbewegte Gegenstände - alle Reize, die durch die Augen ins Gehirn gelangen überlagern sonst das Gesagte und ich kann meinem Gegenüber gedanklich nicht folgen.

www.aspiana.de



Silvana Kirschbauer: Mein Leben als Gefangene im eigenen Körper; Hermann Danne Selbstverlag 2011: (…) Ich habe bei der Arbeit sehr viel gelernt, gerade was die Kommunikation betrifft. Selbst Telefonate sind nun für mich kein Problem mehr. Ich fand sogar einen Trick, wie ich sowohl meiner Chefin als auch den Patienten während des Gesprächs in die Augen sehen kann. Ich mache meine Hände zu Fäusten oder versteife meine Füße auf ähnliche Weise. Dann kann ich es ertragen, meinem Gegenüber ins Gesicht zu sehen. Trotzdem schweift mein Blick immer wieder ab. Wenn ich mein gegenüber ansehe, schaue ich zuerst in die Augen, dann wandert mein Blick zur Nase, von dort zum Mund und anschließend zu den Haaren. So präge ich mir Gesichter ein und erkenne die Person das nächste Mal wieder. Mit Namen tue ich mich schwer, daher präge ich mir Details über die betreffende Person ein, an denen ich sie später wiedererkennen kann. Es ist nicht einfach, wenn man vieles auswendig lernen oder sich einprägen muss. Aber auch wenn ich anders denke, fühle und handle, ich komme trotzdem zu einer Lösung. (S. 52f)





2.3.2. Distanz und Nähe



Hugin: Ich war bei meiner Freundin zum gemütlichen Abend unter Freunden und zum Essen eingeladen. Da waren meine Freundin, ihr Mann, ein befreundetes Ehepaar und ich. Ich kannte alle, es war die Wohnung meiner Freundin und insoweit ein sicheres Terrain. Ich dachte mir nichts böses.

Wir saßen also in der Küche am Esstisch, aßen, unterhielten uns und dabei stellte ich fest, dass K., der Gatte der Freundin meiner Freundin, genau wie ich ein SF und Comic Fan ist. Wow! Wir begannen uns zu unterhalten. Es war einfach genial. Er war ebenfalls ein Freund der britischen Inseln und jetzt auch noch Comics und SF … endlich jemand, mit dem ich mich über meine Lieblingsthemen unterhalten konnte. Während wir uns unterhielten, wurden die anderen am Tisch völlig unwichtig. K. machte ein paar komische Bemerkungen, die ich – wie immer in so einer Situation – ignorierte, da diese keinen Sinn ergaben. (Beispiel: „Also wenn du jetzt auch noch Fußball magst, dann muss ich mich scheiden lassen und dich heiraten.“)

Die anderen standen auf, gingen in einen anderen Raum (zum gemütlicheren sitzen), derweil ich mich mit K. aufs allerbeste unterhielt. Ab und zu kamen meine Freundin und ihr Mann vorbei, doch K. und ich unterhielten uns einfach weiter. Was hätte ich den tun sollen? Es waren meine Lieblingsthemen, über die ich mich kaum mal unterhalten kann. Erstaunliche drei Stunden später stellte ich fest, dass nun die Zeit für mich gekommen war, zu gehen. Ich war müde geworden und musste ja noch heim fahren.

So sagte ich zu K., dass ich jetzt nach hinten ginge, weil ich mir noch ein Buch von meiner Freundin ausleihen und mich verabschieden wolle. Und das tat das auch. Meine Freundin, ihr Mann und K.s Ehefrau saßen da und unterhielten sich. Ich sagte zu meiner Freundin, dass ich gehen wolle, aber sie mir doch noch ein Buch mitgeben wollte. Ich stand vor der Regalwand voller Bücher und versuche auch schon das gesuchte Buch zu finden. Derweil kam K. ebenfalls aus der Küche und trat hinter mich, legt mir die Hände um die Hüften (da wo die Beckenknochen sind) und schob mich etwas zur Seite, um selbst ganz interessiert auf das Bücherregal zu sehen.

Ich empfand die plötzliche Nähe als unangenehm und wunderte mich, warum seine Hände immer noch auf meinen Hüften ruhten, obwohl er mich doch zur Seite geschoben hatte und somit keine Notwendigkeit bestand, die Hände noch dort zu belassen. Außerdem fragte ich mich, warum er mir nicht ganz einfach gesagt hatte, dass ich ihm im Weg stand. Er hätte mich doch nicht anfassen müssen, um mich zur Seite zu schieben. Und wieso lagen seine Hände immer noch auf meinen Hüften?

Etwas irritiert blickte ich zur Seite, dorthin wo die anderen saßen. K.s Verhalten schien ihnen wohl nicht ungewöhnlich zu sein, jedenfalls bemerkte ich nichts, was darauf hinwies. Auch seine Gattin schien nicht irritiert zu sein. Anscheinend war nur ich irritiert und K.s Verhalten wohl normal – und darum tat ich so, als ob alles in Ordnung sei. Ich weiß nicht, wie ich hätte reagieren können, also ignorierte ich, was mich irritierte – so wie ich es immer tue.

Meine Freundin kam, ich war erleichtert. K. nahm seine Hände von meinen Hüften. Ich machte, dass ich Abstand zwischen uns bekam und dass meine Freundin zwischen uns stand.

Sie gab mir das Buch, wir verabschiedeten uns und ich ging Heim. K.s Verhalten war sehr irritierend. Ich verstehe es nicht. Und warum hat er mich anfassen müssen?

Ein dreiviertel Jahr später habe ich meine Freundin gefragt, ob ihr K.s Verhalten nicht auch ungewöhnlich vorgekommen war. Zwischenzeitlich hatte ich die Diagnose „Asperger Syndrom“ und seit dem traue ich mich, auch mal nach den Dingen zu fragen, die ich so ungewöhnlich im Verhalten der Menschen finde. Natürlich nur die Menschen, die ich mag und denen ich vertraue. Ich weiß ja, dass man mit über 40 Jahren nicht solche Fragen stellen sollte. Schon mein ganzes Leben bekomme ich gesagt: „Das weiß man doch, das muss man nicht fragen.“ Also habe ich seit langem aufgehört zu fragen und immer darauf gehofft, dass ich gut genug beobachtet hatte, um entsprechend interagieren zu können.

Na jedenfalls sagte mir meine Freundin, dass K. an dem Abend ganz unverschämt und aufs heftigste mit mir geflirtet hätte und ich so ganz und gar nicht darauf reagiert hätte. Sie hätte mein Verhalten als „ziemlich cool“ empfunden, wie ich so gar nicht auf seine Flirtversuche eingegangen war. Mir war gar nicht klar gewesen, dass das Flirten war. Ich verstehe nach wie vor nicht den Sinn, der im Flirten liegt. Und gefallen tut es mir auch nicht. Angeblich soll das ja was Tolles sein. Ich jedenfalls kann nichts damit anfangen. Vielmehr ist es so, dass ich im Nachhinein darüber verärgert bin. Hätte ich das damals gewusst, hätte ich mich erst gar nicht mit ihm unterhalten, schließlich habe ich kein Interesse an dem Mann, sondern an dem Thema gehabt. Wirklich ärgerlich.

Allerdings verstehe ich nun auch einiges aus meinem Leben besser. Ich habe mich immer gewundert, warum Männer einen immer so „urplötzlich“ küssen, besonders wenn man sich zuvor so toll unterhalten hat und auch sonst so viel gemeinsam hat. Anscheinend ist das gar nicht plötzlich passiert, sondern vermutlich eine Konsequenz, die sich aus dem Flirten ergibt. Nur dass ich nie gewusst hatte, das die Männer mit mir geflirtet hatten und mein Interesse am Thema als Interesse an ihnen als Person missgedeutet hatten. Das ist wirklich ärgerlich, denn nun weiß ich gar nicht, wie ich überhaupt noch mit Männern umgehen soll. Diese menschlichen Interaktionen, besonders die zwischen den beiden Geschlechtern, sind einfach nur verwirrend – und völlig unlogisch!



2.3.3 soziale Berührungen 

 



2.3.4 Trösten






2.3.5 Smalltalk



Schweigen bei Smalltalk



MatthiasBrien: Ich koche für dich; Books on Demand, 2011 (…)

mein Schweigen nervt ganz schön, ja?nö, finde ich nicht. ist doch mal ganz schön, wenn man mal nichts sagt. meist wird ja immer viel geredet und meist dreht es sich auch nur um belangloses Zeug. du magst das nicht, oder?
hm, schlecht zu sagen. ich glaube, es ist besser ausgedrückt, wenn ich sage: ich mag und ich kann das nicht. weil ich es nicht kann, ergeben sich durch mein Stümpern allerlei Missverständnisse, die die Situation so verkomplizieren können, dass niemand mehr durchsteigt. auch ich selber nicht.

aber unterhalten kannst du dich doch, oder?

ja klar. Aber eigentlich nur über die recht ernsten Themen. vielleicht ist „ernst“ auch nicht der passende Ausdruck. auf jeden Fall kann ich eine leichte Unterhaltung nicht lange durchhalten, weil mich der Quatsch auch gar nicht interessiert.

weißt du, wieso?

mich stören z.B. die vielen logischen Widersprüche, die ich da beobachten kann. manchmal sind es sogar direkte logische Widersprüche und seltsamerweise stören sich die Leute daran gar nicht. für mich sind sie unüberwindlich.

weißt du da gerade ein Beispiel?

ja, meinst du jetzt für den direkten logischen Widerspruch?

ja, was ist das?

z.B. hell und dunkel. es gibt Nichts, was beides ist. beide Zustände schließen sich gegenseitig aus.

ach so. (S.40f)





2.3.6 Orientierung an sozialen Regeln und Normen





Hugin: (...) Manchmal glaube ich, dass mir der Kopf vor lauter Gedanken platzen müsste. All die Dinge, an die ich denken muss, wenn ich mit Menschen interagiere.

Regeln der Höflichkeit, versuchen an alles zu denken, um richtig zu interagieren. Schnell muss man dabei auch noch sein, weil man sonst "dumm" wirkt, so vieles, an das man denken muss. Das ist anstrengend. Wüssten die Menschen, an was ich schon alles gedacht und als für "falsch/unpassend" verworfen habe, bevor ich scheinbar langsam antworte oder reagiere, würde denen auch der Kopf platzen. Denn tatsächlich scheine ich alle schon mal erlebten sozialen Situationen irgendwo in meinem Gehirn abgespeichert zu haben und sie dann immer gleichzeitig abzurufen, so dass ich dann aus einer Vielzahl der bisher erlebten Situationen, diejenige auswählen, die für die jetzt gerade erlebte am passendsten erscheint. Das ist schrecklich. Es ist anstrengend und überfordert.





Fettnäpfchen



Axel Brauns: Buntschatten und Fledermäuse, Goldmann Verlag: (...) Das Leben im Autismus ist eine miserable Vorbereitung für das Leben ohne Autismus. Die Höflichkeit hat viele Näpfchen aufgestellt, in die man treten kann. Autisten sind Meister darin, keines auszulassen. (S.9)







Dr. Christine Preißmann: Psychotherapie und Beratung bei Menschen mit Asperger Syndrom, Kohlhammer Verlag: (....) So bin ich auf der Abschlussfeier des Studiums meines Bruders vor wenigen Jahren in Jogginghose und Birkenstock-Sandalen erschienen. Es war warm, ich fand diese Kleidung bequem und praktisch und hatte nicht daran gedacht, dass es damit ein Problem geben könnte. Mein Bruder aber schimpfte deswegen sehr, ich glaube, er schämte sich für mich, was mir leid tat. Es war keineswegs meine Absicht gewesen, ihn zu verärgern. (S.68)







MatthiasBrien: Ich koche für dich; Books on Demand, 2011 (…)

Zu Besuch bei Ruths Mutter: Der Esstisch ist umgeräumt, eine Kaffeetafel entsteht. Die Mutter und Ruth decken den Tisch mit Teller und Tassen und Löffeln. Die Mutter hantiert mit dem Kuchen.



willst du auch helfen oder nur schauen?

ich weiß doch gar nicht, was wo steht und was es gibt…

wir wollen Kaffee trinken … ist ganz einfach … und es gibt Kuchen, du kannst schon mal die Teller und Tassen verteilen!

okay … mache ich, wo sind denn die Kuchengabeln?

was?

ja, Kuchengabeln … ich denke, es gibt Kuchen … dann gibt es doch auch Kuchengabeln… oder?



Die Mutter und Ruth schauen sich an. Auf dem Tisch liegen bloß kleine Löffel, aber keine Kuchengabeln. Ich ordne die Tassen den Untertellern zu. Die Mutter und Ruth schauen sich immer noch an. Dann laufen beide aus dem Zimmer.

Nach einer Weile höre ich, wie jemand mit dem Mixer in der Küche arbeitet. Ich vermute, dass es Schlagsahne geben soll. Ruth bringt eine große Schüssel mit Schlagsahne und stellt sie auf den Tisch. Plötzlich faucht sie mich an:



peinlich ist das! wieso fragst du nach Kuchengabeln? du siehst doch, dass da keine vorgesehen waren.

nein, das habe ich nicht gesehen …

wir haben noch nie Kuchengabeln benutzt … mein Gott ist das peinlich jetzt …

ich muss die auch nicht unbedingt haben, ich habe bloß gefragt …

doch, jetzt gibt es Kuchengabeln und du benutzt die auch! meine Mutter hat extra noch welche organisieren können. du kannst sie jetzt nicht noch mehr bloßstellen

ich will doch niemanden bloßstellen …

hast du aber



Das Gefühl, mit beiden Füßen in einem Fettnapf zu stehen, ist mir ausreichend bekannt.

(S. 141f)





Besuche und Gespräche



Dr. Christine Preißmann: ..und dass jeden Tag Weihnachten wär. Weidler Buchverlag: Wenn ich, was selten genug vorkommt, einmal eine Einladung erhalte, jemanden zu besuchen, habe ich immer große Schwierigkeiten, den richtigen Zeitpunkt zu finden für den Abbruch. Ich weiß dann nie, wie lange ich bleiben sollte, es muss mir meist recht deutlich von meinem Gegenüber gesagt werden, dass ich gehen müsse. Im Nachhinein ist mir das dann ziemlich peinlich, dass ich nicht von selbst weiß, wann ich mich verabschieden sollte. Auch ist es nicht einfach für mich, beim Beenden eines Kontaktes die richtigen Worte zu finden und das Gespräch nicht abrupt abzubrechen. Dies fällt mir besonders beim Telefonieren schwer.





Ungeschriebene Rangordnungen



Gabrijela Mecky Zaragoza,.: Meine andere Welt; Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 2012

„Es gab eine Reihe von Jobtalks in der Deutschabteilung und ich hatte während der ersten zwei Vorlesungen auf dem gleichen Platz gesessen, bei der dritten kam ich später in den Saal und eine Professorin saß auf eben diesem Platz. Verloren ging ich im Raum herum, stellte mich neben den Stuhl, sah ihn an und murmelte etwas von: „Oh je, wo soll ich jetzt sitzen? Das war doch mein Platz...“ Hatte ich wirklich eine Antwort erwartet? Ich bin mir nicht mehr sicher. Sicher ist nur: Sie antwortete, und das zuckersüß. Sinngemäß sagte sie: „ Oh, das ist also Ihr Platz? Aha...Na dann – bitte, bitte! Ich gehe...“ Sie stand auf, wartete ab, und es kam, wie es kommen musste. Zu eifrig darauf bedacht, auch dieses Mal den Platz einzunehmen, der mir auf mysteriöse Weise am vertrautesten erschien, kam ich nicht mal entfernt auf den Gedanken, dass es einer Studentin aufgrund ungeschriebener inneruniversitärer Rangordnungen vielleicht nicht zustehen könnte, Ansprüche auf den Platz einer Professorin anzumelden. Ich nahm ihre Worte wörtlich und überhörte die rhetorische Ironie, die einem anderen Studenten wahrscheinlich doch suggeriert hätte, dass das gesäuselte Platzangebot in Wahrheit ein genervter Platzverweis – ein bug off – gewesen war.“ S. 45 / 46







2.3.7 Die autistische Mauer






2.3.8 Selbstdarstellung



Selbstdarstellung ist eine Inszenierungsstrategie, um ein bestimmtes Ansehen bei anderen herzustellen. Ziel ist die Inszenierung eines erwünschten Selbst mit der wesentlichen Funktion, den sozialen Einfluss zu vergrößern. Daher steuern, beeinflussen und kontrollieren Individuen in sozialen Interaktionen den Eindruck, den sie auf andere Personen machen. (aus Wikipedia)

--------------------------

Autisten zeigen sich Anderen gegenüber eher authentisch. Insbesondere haben sie Probleme mit überzogener (inszenierter) Selbst-Darstellung und beim Versuch der sozialen Einflussnahme durch Steuerung des persönlichen Eindrucks.



Gunilla Gerland: Ein richtiger Mensch sein, Verlag Freies Geistesleben: (...) Ich kam nicht genügend unter die Leute, um auf die Idee zu kommen, dass ich jemandem etwas missgönnen oder etwas Böses wünschen könnte. Ich nahm die Dinge nie so persönlich wie die Leute in meiner Umgebung es zu tun schienen, und ich hatte kein Prestige zu verlieren. Ich fühlte mich nie provoziert, ich wusste nicht einmal, dass ein solches Gefühl überhaupt existierte, geschweige denn, dass ich es bei anderen hervorrufen konnte. Natürlich lebten auch in mir die Urgefühle Freude und Schmerz, aber ich holte sie nie aus mir hervor, um sie anderen Leuten aufzudrängen. (S.125/126)