2.3.1
Gebrauch von Mimik und Gesten
Hans
Asperger: Heilpädagogik 1965:
(...) Besonders deutlich ist die Störung beim Gespräch mit
anderen. Es taucht dabei nicht Blick in Blick, auf diese Weise die
Einheit des Gesprächskontaktes herstellend – wenn man mit jemanden
redet, so „antwortet“ man ja nicht nur mit dem Wort, das nur die
Bestimmung hätte, einen abstrakten Inhalt darzutun, sondern vielmehr
noch mit dem Blick, mit dem Ton der Rede, mit dem Ausdruck seiner
Miene und seiner Gesten; gerade die thymischen Beziehungen, also das,
was vor allem anderen Mensch an Menschen bindet, spielen sich in
diesen letztgenannten Erscheinungen ab. Daran ist aber das
autistische kontaktgestörte Kind gar nicht interessiert. Es schaut
darum den Sprechenden meist gar nicht an, sein Blick geht an ihm
vorbei, streift ihn höchstens hie und da so beiläufig. Es ist
überhaupt bezeichnend, dass diese Kinder nicht mit fest zupackendem
Blick schauen, sondern so, als würden sie mehr „mit dem peripheren
Gesichtsfeld“ wahrnehmen. (S. 178)
Hans
Asperger: Heilpädagogik 1965:
(...) Niemals fehlen die charakteristischen Eigenheiten
des Blicks. Es ist auch nicht verwunderlich, dass sich eine
Kontaktstörung vor allem in dieser Ausdruckserscheinung kundtut: ist
es doch der Blick, der an erster Stelle, vor allen anderen mimischen
Vorgängen, Kontakt schafft. Von dem Zeitpunkt an, da ein Kind
„schauen“ kann, also vom dritten Lebensmonat an, lange bevor es
sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten hat, spielt sich ein Großteil
seiner Beziehungen mit der Umwelt über den Blick ab. Wie trinkt
nicht das kleine Kind mit staunenden Augen die Welt in sich hinein,
wie spiegelt sich die Spannung dieses ersten Besitzergreifens im
Blick, wie spricht es seine Gefühle mit den Augen aus, noch viel
ungehemmter als der Erwachsene, der sich zu distanzieren und zu
verbergen gelernt hat. Grundsätzlich anders ist es bei den
Autistischen. Kaum je haftet der Blick auf einem bestimmten Ding, auf
einem bestimmten Menschen und zeigt so die wache Aufmerksamkeit, den
lebendigen Kontakt an. (S. 178)
Blickzwänge
Gabrijela
Mecky Zaragoza,.: Meine andere Welt; Vandenhoek & Ruprecht,
Göttingen 2012
„Blickkontakte sind
für mich anstrengend und können mein Wohlbefinden empfindlich
stören, zumal in Blickregelungen die Mehrheitsregel greift: Was für
viele gut ist, wird für alle zum Muss. In westlichen Kulturräumen
bedeutet das, dass ausgiebige Blickkontakte eine Schlüsselrolle in
der menschlichen Kommunikation spielen und die meisten Menschen (...)
über wahrgenommene Blickeigenschaften Rückschlüsse ziehen: auf die
Aussage eines Menschen, auf seine Stimmung, auf sein Wesen. Ich fühle
mich von den herrschenden Blickgewohnheiten eingeengt, ja
eingesperrt, es ist fast so, als werde ich durch sie in ein
Zwangsjäckchen gesteckt, das statt meiner Arme und Hände meine
Gedanken und Gefühle knebelt. Aber nicht nur das: Sie tun mir oft
regelrecht weh, diese fremden Blicke, sie stechen und schmerzen wie
kleine Nadeln, mit ihnen es ein bisschen wie mit beißendem
Neonlicht.“ S. 38 / 39
Missverständnisse
Hedwig:
Wenn ich mich auf das Gesprochene von anderen Menschen
konzentriere, muss ich ihnen auf den Mund sehen, weil ich sonst
Schwierigkeiten habe, mich auf diese Geräusche neben all den anderen
zu konzentrieren. Dabei blinzele ich wahrscheinlich nicht oder nur
selten, sodass andere Menschen den Eindruck erhalten, ich würde sie
(feindselig) anstarren.
In einer Berufsschule
wurde ich vor die Wahl gestellt: Entweder ich unterlasse es sofort,
die Lehrerin so anzustarren oder ich müsste den Unterricht vor der
Tür verbringen. Die Lehrerin erklärte der gesamten Klasse, dass ich
der leibhaftige Teufel sei. Mit solchen Augen. So etwas wollte sie in
ihrem Unterricht nicht haben.
Ich verstand erst gar
nicht, was ich falsch gemacht haben sollte. Schließlich saß ich
doch bloß in ihrem Unterricht und versuchte mich auf diesen zu
konzentrieren.
Arroganz wird mir oft
vorgeworfen, was manchmal auch traurig ist. Häufig geschieht dies
durch mein Unvermögen, Gesichter wiederzuerkennen. In der Regel
verläuft die Kommunikation diesbezüglich über Dritte und nicht mit
mir persönlich.
So hat sich eine Freundin
meiner Schwester bei ihr über mich beschwert, dass ich so
unglaublich arrogant sei und sie auf der Straße nicht grüßen
würde, sie dadurch vor allen anderen Menschen lächerlich machte,
weil ich sie angeblich ignorieren würde. Meine Schwester versuchte
ihr zu erklären, dass das von mir keine Absicht ist, doch sie bleibt
dabei, dass sie mit mir deswegen nichts mehr zu tun haben will und
auch nicht mehr freundlich zu mir sein will.
Besonders tragisch sind
Fehldeutungen durch Männer. Nur bin ich mir noch nicht sicher, ob es
Fehldeutungen sind oder Absicht. Sie denken oft, ich sei an ihnen
interessiert, nur weil ich mich zum Verstehen der Sprache so intensiv
auf die Münder konzentrieren muss, was wohl als volle Aufmerksamkeit
an ihrer Person missverstanden wird.
Solche Menschen werden
richtig anhänglich und ich weiß nicht, wie ich sie wieder loswerden
soll. Vielleicht steigert mein Desinteresse an ihnen ihr Interesse an
mir, wenn ich mich wieder mit anderen Dingen beschäftige und ihrem
Sprechen nicht mehr folge. Möglich, dass sie das für gespielte
Schüchternheit halten.
Dies alles macht soziale
Situationen sehr kompliziert. Wenn ich dann meine Sichtweise zu
erklären versuche und die nicht der anderen Meinung entspricht, gilt
das als Lüge.
Mimik
Sabine
Kiefner: Ich bin Autistin - Asperger Syndrom bei Frauen:
Was machst du bloß für ein
Gesicht?
Was machte ich denn für ein Gesicht?
Ich wusste nicht, was diese Frage zu bedeuten hatte.
Ich empfand mein Gesicht als ganz normal, wenn ich in den Spiegel sah.
Ein Normalgesicht, wie das der anderen. Ich konnte keinen Unterschied feststellen, egal, wie lange ich mich im Spiegel betrachtete.
Auch auf den Fotos fiel mir nicht auf, was mein Gesicht offensichtlich von den anderen unterschied.
Also fragte ich, was an meinem Gesicht anders sei.
Sie sagten, ich würde immer so ein langes Gesicht machen. Das verstand ich nicht. Was hatte das zu bedeuten – ein langes Gesicht?
Mein Gesicht war nicht länger als das der anderen und ich bemühte mich auch nicht, es in irgendeiner auffälligen Weise zu verändern.
Es war mein Gesicht und es sah jeden Tag gleich aus.
Aber es war nicht lang.
Manchmal stand ich unbeobachtet im Flur vor dem Spiegel und versuchte, meinen Gesichtsausdruck zu verändern.
Meist waren es Grimassen, die mir ein seltsames Aussehen gaben und die ich nicht lange halten konnte, weil es sehr anstrengend war, das Gesicht so extrem zu verziehen.
„Immer machst du ein so ernstes Gesicht. Dabei würde dir ein Lächeln viel besser stehen.“
Ein Lächeln. Das war es also, was ihnen in meinem Gesicht fehlte – ein Lächeln.
Warum würde mir ein Lächeln besser stehen?
Was veränderte ein Lächeln an meinem Gesicht?
Ich probierte es aus, um ihnen einen Gefallen zu tun.
Aber meine Versuche, ein Lächeln auf mein Gesicht zu bekommen, scheiterten.
Es war mehr ein Grinsen, was dabei herauskam.
Verkrampft, verbissen oder komisch.
War es das, was sie wollten?
Ich wollte es nicht.
Ich schaffte es auch nicht.
Außerdem irritierten mich lächelnde Gesichter.
Ich verstand nicht, was sie zu bedeuten hatten.
Lachte mich jemand mit einem lächelnden Gesicht an oder aus oder lachte er über mich?
Lächelnde Gesichter verunsicherten mich.
Ich sah Menschen sowieso nicht gerne ins Gesicht, sondern wich ihren Blicken lieber aus.
Warum war es überhaupt wichtig, was für ein Gesicht ich machte, zumal mir gar nicht bewusst war, dass ich ein Gesicht machte.
Mein Gesicht war einfach da – so, wie es ist. Ich machte es nicht.
Später erfuhr ich, dass sie mein fehlendes Lächeln dahingehend interpretierten, dass ich traurig oder schlecht gelaunt sei.
Das habe ich überhaupt nicht begreifen können.
Ich fühlte mich nicht traurig, weil ich nicht lächelte.
Ich war auch nicht schlecht gelaunt.
Ich war nur ich selber.
Und mein Gesicht war ganz normal – meines eben.
Nonverbale
Signale einsetzen
Dr.
Christine Preißmann: ..und dass jeden Tag Weihnachten wär. Weidler
Buchverlag: (...)
Ich glaube ich wirke in sozialen Situationen oft sehr ablehnend und
abweisend, vielleicht auch durch den mangelnden Blickkontakt. Daher
traut man sich wohl nicht immer, mich anzusprechen. Ich bin aber
darauf angewiesen, dass der andere den ersten Schritt macht. Falls
dies nicht geschieht, ist das Gespräch häufig nach einer
Begrüßungsformel schon wieder zu Ende, bevor es richtig begonnen
hat, falls sich überhaupt ein solcher Kontakt entwickelt. Vielleicht
wäre es also wichtig, hier anzusetzen und den nonverbalen
Erstkontakt zu trainieren, aber diese Dinge wie Mimik, Gestik und
Körpersprache sind sehr, sehr schwer für mich. Ich kann sie oft
nicht deuten, und ich kann sie schon gar nicht selbst einsetzen. (S.
110/111)
Dianas
Aspergerseite: (...)
Aus mehreren Gründen vermeide ich es möglichst, Menschen in die
Augen zu sehen.
(1.)
Absorbierende Tiefe. Irgendwo habe ich gelesen, die Augen seien eine
Art "Spiegel der Seele". Ich habe keine Ahnung, was
Menschen sehen, die mir in die Augen schauen, aber wenn ich dies bei
anderen versuche, und zwar "voll bewusst" und vollständig
emotional anwesend, dann ist es, als würde ich von dem Menschen
verschlungen werden. Es ist ein echtes Grauen. Es tut fast körperlich
weh in den Augen.
(2.)
Ablenkung von allem, was geredet wird. Ich kann niemandem zuhören,
wenn ich dabei darauf achten muss, in die Augen zu schauen. Wenn ich
jemandem zuhöre, dann schaue ich lieber auf unbewegte Gegenstände -
alle Reize, die durch die Augen ins Gehirn gelangen überlagern sonst
das Gesagte und ich kann meinem Gegenüber gedanklich nicht folgen.
www.aspiana.de
Silvana
Kirschbauer: Mein Leben als Gefangene im eigenen Körper; Hermann
Danne Selbstverlag 2011: (…)
Ich habe bei der Arbeit sehr viel
gelernt, gerade was die Kommunikation betrifft. Selbst Telefonate
sind nun für mich kein Problem mehr. Ich fand sogar einen Trick, wie
ich sowohl meiner Chefin als auch den Patienten während des
Gesprächs in die Augen sehen kann. Ich mache meine Hände zu Fäusten
oder versteife meine Füße auf ähnliche Weise. Dann kann ich es
ertragen, meinem Gegenüber ins Gesicht zu sehen. Trotzdem schweift
mein Blick immer wieder ab. Wenn ich mein gegenüber ansehe, schaue
ich zuerst in die Augen, dann wandert mein Blick zur Nase, von dort
zum Mund und anschließend zu den Haaren. So präge ich mir Gesichter
ein und erkenne die Person das nächste Mal wieder. Mit Namen tue ich
mich schwer, daher präge ich mir Details über die betreffende
Person ein, an denen ich sie später wiedererkennen kann. Es ist
nicht einfach, wenn man vieles auswendig lernen oder sich einprägen
muss. Aber auch wenn ich anders denke, fühle und handle, ich komme
trotzdem zu einer Lösung. (S. 52f)
2.3.2.
Distanz und Nähe
Hugin:
Ich war bei meiner Freundin zum gemütlichen Abend unter
Freunden und zum Essen eingeladen. Da waren meine Freundin, ihr Mann,
ein befreundetes Ehepaar und ich. Ich kannte alle, es war die Wohnung
meiner Freundin und insoweit ein sicheres Terrain. Ich dachte mir
nichts böses.
Wir saßen also in der
Küche am Esstisch, aßen, unterhielten uns und dabei stellte ich
fest, dass K., der Gatte der Freundin meiner Freundin, genau wie ich
ein SF und Comic Fan ist. Wow! Wir begannen uns zu unterhalten. Es
war einfach genial. Er war ebenfalls ein Freund der britischen Inseln
und jetzt auch noch Comics und SF … endlich jemand, mit dem ich
mich über meine Lieblingsthemen unterhalten konnte. Während wir uns
unterhielten, wurden die anderen am Tisch völlig unwichtig. K.
machte ein paar komische Bemerkungen, die ich – wie immer in so
einer Situation – ignorierte, da diese keinen Sinn ergaben.
(Beispiel: „Also wenn du jetzt auch noch Fußball magst, dann muss
ich mich scheiden lassen und dich heiraten.“)
Die anderen standen auf,
gingen in einen anderen Raum (zum gemütlicheren sitzen), derweil ich
mich mit K. aufs allerbeste unterhielt. Ab und zu kamen meine
Freundin und ihr Mann vorbei, doch K. und ich unterhielten uns
einfach weiter. Was hätte ich den tun sollen? Es waren meine
Lieblingsthemen, über die ich mich kaum mal unterhalten kann.
Erstaunliche drei Stunden später stellte ich fest, dass nun die Zeit
für mich gekommen war, zu gehen. Ich war müde geworden und musste
ja noch heim fahren.
So sagte ich zu K., dass
ich jetzt nach hinten ginge, weil ich mir noch ein Buch von meiner
Freundin ausleihen und mich verabschieden wolle. Und das tat das
auch. Meine Freundin, ihr Mann und K.s Ehefrau saßen da und
unterhielten sich. Ich sagte zu meiner Freundin, dass ich gehen
wolle, aber sie mir doch noch ein Buch mitgeben wollte. Ich stand vor
der Regalwand voller Bücher und versuche auch schon das gesuchte
Buch zu finden. Derweil kam K. ebenfalls aus der Küche und trat
hinter mich, legt mir die Hände um die Hüften (da wo die
Beckenknochen sind) und schob mich etwas zur Seite, um selbst ganz
interessiert auf das Bücherregal zu sehen.
Ich empfand die
plötzliche Nähe als unangenehm und wunderte mich, warum seine Hände
immer noch auf meinen Hüften ruhten, obwohl er mich doch zur Seite
geschoben hatte und somit keine Notwendigkeit bestand, die Hände
noch dort zu belassen. Außerdem fragte ich mich, warum er mir nicht
ganz einfach gesagt hatte, dass ich ihm im Weg stand. Er hätte mich
doch nicht anfassen müssen, um mich zur Seite zu schieben. Und wieso
lagen seine Hände immer noch auf meinen Hüften?
Etwas irritiert blickte
ich zur Seite, dorthin wo die anderen saßen. K.s Verhalten schien
ihnen wohl nicht ungewöhnlich zu sein, jedenfalls bemerkte ich
nichts, was darauf hinwies. Auch seine Gattin schien nicht irritiert
zu sein. Anscheinend war nur ich irritiert und K.s Verhalten wohl
normal – und darum tat ich so, als ob alles in Ordnung sei. Ich
weiß nicht, wie ich hätte reagieren können, also ignorierte ich,
was mich irritierte – so wie ich es immer tue.
Meine Freundin kam, ich
war erleichtert. K. nahm seine Hände von meinen Hüften. Ich machte,
dass ich Abstand zwischen uns bekam und dass meine Freundin zwischen
uns stand.
Sie gab mir das Buch, wir
verabschiedeten uns und ich ging Heim. K.s Verhalten war sehr
irritierend. Ich verstehe es nicht. Und warum hat er mich anfassen
müssen?
Ein dreiviertel Jahr
später habe ich meine Freundin gefragt, ob ihr K.s Verhalten nicht
auch ungewöhnlich vorgekommen war. Zwischenzeitlich hatte ich die
Diagnose „Asperger Syndrom“ und seit dem traue ich mich, auch mal
nach den Dingen zu fragen, die ich so ungewöhnlich im Verhalten der
Menschen finde. Natürlich nur die Menschen, die ich mag und denen
ich vertraue. Ich weiß ja, dass man mit über 40 Jahren nicht solche
Fragen stellen sollte. Schon mein ganzes Leben bekomme ich gesagt:
„Das weiß man doch, das muss man nicht fragen.“ Also habe ich
seit langem aufgehört zu fragen und immer darauf gehofft, dass ich
gut genug beobachtet hatte, um entsprechend interagieren zu können.
Na jedenfalls sagte mir
meine Freundin, dass K. an dem Abend ganz unverschämt und aufs
heftigste mit mir geflirtet hätte und ich so ganz und gar nicht
darauf reagiert hätte. Sie hätte mein Verhalten als „ziemlich
cool“ empfunden, wie ich so gar nicht auf seine Flirtversuche
eingegangen war. Mir war gar nicht klar gewesen, dass das Flirten
war. Ich verstehe nach wie vor nicht den Sinn, der im Flirten liegt.
Und gefallen tut es mir auch nicht. Angeblich soll das ja was Tolles
sein. Ich jedenfalls kann nichts damit anfangen. Vielmehr ist es so,
dass ich im Nachhinein darüber verärgert bin. Hätte ich das damals
gewusst, hätte ich mich erst gar nicht mit ihm unterhalten,
schließlich habe ich kein Interesse an dem Mann, sondern an dem
Thema gehabt. Wirklich ärgerlich.
Allerdings verstehe ich
nun auch einiges aus meinem Leben besser. Ich habe mich immer
gewundert, warum Männer einen immer so „urplötzlich“ küssen,
besonders wenn man sich zuvor so toll unterhalten hat und auch sonst
so viel gemeinsam hat. Anscheinend ist das gar nicht plötzlich
passiert, sondern vermutlich eine Konsequenz, die sich aus dem
Flirten ergibt. Nur dass ich nie gewusst hatte, das die Männer mit
mir geflirtet hatten und mein Interesse am Thema als Interesse an
ihnen als Person missgedeutet hatten. Das ist wirklich ärgerlich,
denn nun weiß ich gar nicht, wie ich überhaupt noch mit Männern
umgehen soll. Diese menschlichen Interaktionen, besonders die
zwischen den beiden Geschlechtern, sind einfach nur verwirrend –
und völlig unlogisch!
2.3.3
soziale Berührungen
2.3.4
Trösten
2.3.5
Smalltalk
Schweigen bei Smalltalk
MatthiasBrien: Ich koche für dich; Books on Demand, 2011
(…)
mein Schweigen nervt ganz schön,
ja?nö, finde ich nicht. ist doch mal ganz schön, wenn man
mal nichts sagt. meist wird ja immer viel geredet und meist dreht es
sich auch nur um belangloses Zeug. du magst das nicht, oder?
hm, schlecht zu sagen. ich glaube, es ist besser ausgedrückt, wenn ich sage: ich mag und ich kann das nicht. weil ich es nicht kann, ergeben sich durch mein Stümpern allerlei Missverständnisse, die die Situation so verkomplizieren können, dass niemand mehr durchsteigt. auch ich selber nicht.
hm, schlecht zu sagen. ich glaube, es ist besser ausgedrückt, wenn ich sage: ich mag und ich kann das nicht. weil ich es nicht kann, ergeben sich durch mein Stümpern allerlei Missverständnisse, die die Situation so verkomplizieren können, dass niemand mehr durchsteigt. auch ich selber nicht.
aber unterhalten kannst du dich doch,
oder?
ja klar. Aber eigentlich nur über
die recht ernsten Themen. vielleicht ist „ernst“ auch nicht der
passende Ausdruck. auf jeden Fall kann ich eine leichte Unterhaltung
nicht lange durchhalten, weil mich der Quatsch auch gar nicht
interessiert.
weißt du, wieso?
mich stören z.B. die vielen
logischen Widersprüche, die ich da beobachten kann. manchmal sind es
sogar direkte logische Widersprüche und seltsamerweise stören sich
die Leute daran gar nicht. für mich sind sie unüberwindlich.
weißt du da gerade ein Beispiel?
ja, meinst du jetzt für den
direkten logischen Widerspruch?
ja, was ist das?
z.B. hell und dunkel. es gibt
Nichts, was beides ist. beide Zustände schließen sich gegenseitig
aus.
ach so. (S.40f)
2.3.6
Orientierung an sozialen Regeln und Normen
Hugin:
(...) Manchmal glaube ich, dass
mir der Kopf vor lauter Gedanken platzen müsste. All die Dinge, an
die ich denken muss, wenn ich mit Menschen interagiere.
Regeln
der Höflichkeit, versuchen an alles zu denken, um richtig zu
interagieren. Schnell muss man dabei auch noch sein, weil man sonst
"dumm" wirkt, so vieles, an das man denken muss. Das ist
anstrengend. Wüssten die Menschen, an was ich schon alles gedacht
und als für "falsch/unpassend" verworfen habe, bevor ich
scheinbar langsam antworte oder reagiere, würde denen auch der Kopf
platzen. Denn tatsächlich scheine ich alle schon mal erlebten
sozialen Situationen irgendwo in meinem Gehirn abgespeichert zu haben
und sie dann immer gleichzeitig abzurufen, so dass ich dann aus einer
Vielzahl der bisher erlebten Situationen, diejenige auswählen, die
für die jetzt gerade erlebte am passendsten erscheint. Das ist
schrecklich. Es ist anstrengend und überfordert.
Fettnäpfchen
Axel
Brauns: Buntschatten und Fledermäuse, Goldmann Verlag:
(...) Das Leben im Autismus ist eine
miserable Vorbereitung für das Leben ohne Autismus. Die Höflichkeit
hat viele Näpfchen aufgestellt, in die man treten kann. Autisten
sind Meister darin, keines auszulassen. (S.9)
Dr.
Christine Preißmann: Psychotherapie und Beratung bei Menschen mit
Asperger Syndrom, Kohlhammer Verlag: (....)
So bin ich auf der Abschlussfeier des Studiums meines Bruders vor
wenigen Jahren in Jogginghose und Birkenstock-Sandalen erschienen. Es
war warm, ich fand diese Kleidung bequem und praktisch und hatte
nicht daran gedacht, dass es damit ein Problem geben könnte. Mein
Bruder aber schimpfte deswegen sehr, ich glaube, er schämte sich für
mich, was mir leid tat. Es war keineswegs meine Absicht gewesen, ihn
zu verärgern. (S.68)
MatthiasBrien: Ich koche für dich; Books on Demand, 2011
(…)
Zu Besuch bei Ruths Mutter: Der
Esstisch ist umgeräumt, eine Kaffeetafel entsteht. Die Mutter und
Ruth decken den Tisch mit Teller und Tassen und Löffeln. Die Mutter
hantiert mit dem Kuchen.
willst du auch helfen oder nur schauen?
ich weiß doch gar nicht, was wo
steht und was es gibt…
wir wollen Kaffee trinken … ist ganz
einfach … und es gibt Kuchen, du kannst schon mal die Teller und
Tassen verteilen!
okay … mache ich, wo sind denn die
Kuchengabeln?
was?
ja, Kuchengabeln … ich denke, es
gibt Kuchen … dann gibt es doch auch Kuchengabeln… oder?
Die Mutter und Ruth schauen sich an.
Auf dem Tisch liegen bloß kleine Löffel, aber keine Kuchengabeln.
Ich ordne die Tassen den Untertellern zu. Die Mutter und Ruth schauen
sich immer noch an. Dann laufen beide aus dem Zimmer.
Nach einer Weile höre ich, wie jemand
mit dem Mixer in der Küche arbeitet. Ich vermute, dass es
Schlagsahne geben soll. Ruth bringt eine große Schüssel mit
Schlagsahne und stellt sie auf den Tisch. Plötzlich faucht sie mich
an:
peinlich ist das! wieso fragst du nach
Kuchengabeln? du siehst doch, dass da keine vorgesehen waren.
nein, das habe ich nicht gesehen …
wir haben noch nie Kuchengabeln benutzt
… mein Gott ist das peinlich jetzt …
ich muss die auch nicht unbedingt
haben, ich habe bloß gefragt …
doch, jetzt gibt es Kuchengabeln und du
benutzt die auch! meine Mutter hat extra noch welche organisieren
können. du kannst sie jetzt nicht noch mehr bloßstellen
ich will doch niemanden bloßstellen
…
hast du aber
Das Gefühl, mit beiden Füßen in
einem Fettnapf zu stehen, ist mir ausreichend bekannt.
(S. 141f)
Besuche und Gespräche
Dr.
Christine Preißmann: ..und dass jeden Tag Weihnachten wär. Weidler
Buchverlag: Wenn
ich, was selten genug vorkommt, einmal eine Einladung erhalte,
jemanden zu besuchen, habe ich immer große Schwierigkeiten, den
richtigen Zeitpunkt zu finden für den Abbruch. Ich weiß dann nie,
wie lange ich bleiben sollte, es muss mir meist recht deutlich von
meinem Gegenüber gesagt werden, dass ich gehen müsse. Im Nachhinein
ist mir das dann ziemlich peinlich, dass ich nicht von selbst weiß,
wann ich mich verabschieden sollte. Auch ist es nicht einfach für
mich, beim Beenden eines Kontaktes die richtigen Worte zu finden und
das Gespräch nicht abrupt abzubrechen. Dies fällt mir besonders
beim Telefonieren schwer.
Ungeschriebene
Rangordnungen
Gabrijela
Mecky Zaragoza,.: Meine andere Welt; Vandenhoek & Ruprecht,
Göttingen 2012
„Es gab eine Reihe
von Jobtalks in der Deutschabteilung und ich hatte während der
ersten zwei Vorlesungen auf dem gleichen Platz gesessen, bei der
dritten kam ich später in den Saal und eine Professorin saß auf
eben diesem Platz. Verloren ging ich im Raum herum, stellte mich
neben den Stuhl, sah ihn an und murmelte etwas von: „Oh je, wo soll
ich jetzt sitzen? Das war doch mein Platz...“ Hatte ich wirklich
eine Antwort erwartet? Ich bin mir nicht mehr sicher. Sicher ist nur:
Sie antwortete, und das zuckersüß. Sinngemäß sagte sie: „ Oh,
das ist also Ihr Platz? Aha...Na dann – bitte, bitte! Ich gehe...“
Sie stand auf, wartete ab, und es kam, wie es kommen musste. Zu
eifrig darauf bedacht, auch dieses Mal den Platz einzunehmen, der mir
auf mysteriöse Weise am vertrautesten erschien, kam ich nicht mal
entfernt auf den Gedanken, dass es einer Studentin aufgrund
ungeschriebener inneruniversitärer Rangordnungen vielleicht nicht
zustehen könnte, Ansprüche auf den Platz einer Professorin
anzumelden. Ich nahm ihre Worte wörtlich und überhörte die
rhetorische Ironie, die einem anderen Studenten wahrscheinlich doch
suggeriert hätte, dass das gesäuselte Platzangebot in Wahrheit ein
genervter Platzverweis – ein bug off – gewesen war.“ S.
45 / 46
2.3.7
Die autistische Mauer
2.3.8
Selbstdarstellung
Selbstdarstellung
ist eine Inszenierungsstrategie, um ein bestimmtes Ansehen bei
anderen herzustellen. Ziel ist die Inszenierung eines erwünschten
Selbst mit der wesentlichen Funktion, den sozialen Einfluss zu
vergrößern. Daher steuern, beeinflussen und kontrollieren
Individuen in sozialen Interaktionen den Eindruck, den sie auf andere
Personen machen. (aus Wikipedia)
--------------------------
Autisten
zeigen sich Anderen gegenüber eher authentisch. Insbesondere haben
sie Probleme mit überzogener (inszenierter) Selbst-Darstellung und
beim Versuch der sozialen Einflussnahme durch Steuerung des
persönlichen Eindrucks.
Gunilla
Gerland:
Ein richtiger Mensch sein, Verlag Freies Geistesleben:
(...) Ich kam nicht genügend unter die Leute, um auf die Idee
zu kommen, dass ich jemandem etwas missgönnen oder etwas Böses
wünschen könnte. Ich nahm die Dinge nie so persönlich wie die
Leute in meiner Umgebung es zu tun schienen, und ich hatte kein
Prestige zu verlieren. Ich fühlte mich nie provoziert, ich wusste
nicht einmal, dass ein solches Gefühl überhaupt existierte,
geschweige denn, dass ich es bei anderen hervorrufen konnte.
Natürlich lebten auch in mir die Urgefühle Freude und Schmerz, aber
ich holte sie nie aus mir hervor, um sie anderen Leuten aufzudrängen.
(S.125/126)