3 Kommunikation, 3.4 Sprachstil

3.4.1 Formale Sprache

Nicole Schuster: Ein guter Tag ist ein Tag mit Wirsing, Weidler Buchverlag: (....) Die Redensarten und informellen Ausdrücke, welche die Sprechweise der Mitschüler prägten, wollten mir nicht über die Lippen gehen. Und wenn ich sie doch einmal ausprobierte, dann wirkten sie wie abgelesen. Sie passten einfach nicht zu mir. Zu mir passte eine steife, formale Sprache, die mit meinem Verhalten und meinem äußeren Erscheinungsbild übereinstimmte. (S.236)



3.4.2 Ungewöhnliche Sprachmelodie

Gekünstelt wirkende Sprache
Hans Asperger: Heilpädagogik 1965: (...) Wieder wird es uns nicht wundern, dass bei den Autistischen auch jene kontaktschaffenden Ausdruckserscheinungen der Sprache gestört sind. Bei den einzelnen Fällen gibt es sehr verschiedene Möglichkeiten solcher Störung: einmal ist die Stimme auffallend leise und fern, vornehm näselnd, dann wieder schrill, krähend, unangepasst laut, dass es einem förmlich im Ohr weh tut; einmal geht sie monoton dahin, ohne Hebung und Senkung, auch nicht am Ende des Satzes, des Gedankens, ist ein leiernder Singsang – oder aber sie ist übertrieben moduliert, wirkt wie eine schlechte Deklamation, wird mit übertriebenem Pathos vorgetragen. Gemeinsam ist in allen diesen Fällen: Die Sprache wirkt auch auf den naiven Zuhörer „anders als normal“, unnatürlich, wie eine Karikatur, zu Spott herausfordernd. (S.179)


Unter Jugendlichen

Nicole Schuster: Ein guter Tag ist ein Tag mit Wirsing, Weidler Buchverlag: (....) „Nicole, sag mal was!“ „Warum?“ - „Ich will deine Stimme hören, Sie hört sich so lustig an.“ Mädchengekicher dringt an mein Ohr. Die blonde Jillian und ihre dunkelhaarigen Freundinnen lachen. Sie gehen eng aneinander gedrängt, zarte Mädchenschulter an Mädchenschulter über den Schulhof. Ich spaziere in einigem Abstand nebenher. „Deine Stimme hört sich so komisch an“ - Und wieder ihr Lachen. Es tut weh. S.236


Wechselnder Sprechrhythmus
Werner Kelnhofer: Ich bin Aspie!: (...) Wenn ich meinen Eltern manche meiner Entdeckungen und Erkenntnisse in Worten darlegen wollte, dann unterbrachen sie mich sehr oft nach wenigen Sätzen mit der Bemerkung: “Bub, sing nicht so!” Ich für meinen Teil empfand meine Rede als ganz normal, aber meinen Eltern und auch anderen Erwachsenen war meine Sprachmelodie (Intonation) offenbar unangenehm. So kam es, dass ich manchmal sehr schnell sprach, um vor einem Abbruch seitens der Zuhörer möglichst viel gesagt zu haben. www.as-tt.de/html/ich_bin_aspie


3.4.3 Laut denken

Vorbereiten von Gesprächen
Werner Kelnhofer: (...) Vor wichtigeren Gesprächen versuche ich mir immer alle mögliche Varianten des Gesprächs vorzustellen und spiele diese durch, meistens mit halblauter Stimme. Denn wenn ich die Worte spreche, höre ich sie gleichzeitig und kann so ihre Melodie wahrnehmen. Diese Melodie (nicht zu verwechseln mit der Modulation) hilft mir, dass ich mir diese Wortkombinationen und Formulierungen einprägen kann. Bei Umstellung der Worte innerhalb eines Satzes verändert sich damit seine Melodie. Auch ist diese Satzmelodie bei gesungenen Texten völlig unabhängig von der Melodie des Liedes. Vor allem bei Telefongesprächen bräuchte ich diese Vorbereitung, aber leider versagt hier diese Methode, denn zu oft meldet sich am anderen Ende jemand anderes und dann war die Vorbereitung umsonst. www.as-tt.de



3.4.4 Echolalie

Axel Brauns: Buntschatten und Fledermäuse, Goldmann Verlag: (...)
„Komm her Axel“, sagte die Haha. Sie stand am Wacholder und rückte einen Korbstuhl zurecht. Ich hüpfte herbei und wiederholte die Worte: „Komm her, Aggel – komm her, Aggel – komm her Aggel.“
„Du sollst nicht immer alles nachplappern.“
Das letzte Wort fand Heimat bei mir, es klang so schön wie das Wort Näpfchen. Ich machte es mir auf der Lolliwutschaukel gemütlich. Dabei rutschten Worte der Freude heraus: „Nachplappern – nachplappern – nachplappern.“„Hör auf! Du bist doch kein Papagei“
Eine vergnügte Stimme hallte in mir wider: Papagei – Papagei- Papagei….“ (S.39)


3.4.5 Der Klang von Worten

Einige autistische Menschen berichten, dass Sprache neben der reinen Sachinformation noch einen individuell ästhetischen bzw. sehr persönlich faszinierenden Charakter haben kann. Worte beeindrucken durch ihren Klang oder durch synästhetische Verschmelzung von Wahrnehmungskanälen. Sie werden z.B. mit Farben oder Geschmacksempfindungen assoziiert.
Dieser sinnlich faszinierende Aspekt kann so stark sein, dass er die kommunikative Funktion der Sprache behindert oder sogar in den Hintergrund treten lässt.
In der Fachliteratur wird dieses Phänomen nur am Rande erwähnt. Tony Attwood: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom, S. 256: „Manchmal hört sich ein Wort für ein Kind komisch an oder es findet eine bestimmte Bedeutung seltsam, sodass es anfängt zu lachen oder zu kichern. Dann wiederholt es das Wort immer wieder, ohne dabei die Absicht zu haben, diesen Spaß mit anderen zu teilen oder anderen zu erklären, was an dem Wort so faszinierend oder witzig ist. Der Humor ist idiosynkratisch, also eigenwillig und typisch für dieses Kind. Das kann dem Lehrer oder den Eltern einige Rätsel aufgeben.“



Axel Brauns: Buntschatten und Fledermäuse, Goldmann Verlag: (...) Geblieben ist meine Art Humor, die mich oft schmunzeln lässt, wo Nichtautisten kein Korn Komik erblicken. Kaum ein Leser dürfte, falls er über das Wort Näpfchen gestolpert ist, ermessen haben, wie glücklich ich mich schätze, ein so niedliches Wort gleich zu Beginn in meinem Buch begrüßen zu können. (S.11)


Hugin: Der Klang von Worten kann mich z. B. in der Kommunikation aufhalten. Ich denke dann über dieses Wort nach, warum es so seltsam klingt, prüfe, welchen Geschmack/Konsistenz es hat (Worte haben für mich einen Geschmack / hinterlassen ein Gefühl im Mund - schwer das zu beschreiben und auch nicht jedes Wort). Gurke ist eines meiner interessantesten Wörter. Gurke hat so was raues und ich kann mich immer wieder gern mit diesem Wort beschäftigen. Um ehrlich zu sein, ich habe das schon immer sehr seltsam an mir gefunden. Ich glaube, das war als Kind ein Problem für mich, all diese Informationen zu verarbeiten und zu verstehen, dass Worte der Kommunikation dienen und nicht dem sensorischen Empfinden. Wobei Worte nur dann fühlbar sind, wenn ich selbst sie ausspreche, nicht wenn ich sie höre.


3.4.6 Neologismen / kreativer Sprachgebrauch

Wortschöpfungen

Hans Asperger: Heilpädagogik 1965: (...) Diese Kinder, vor allem die intellektuell gut Begabten unter ihnen, haben ein geradezu schöpferisches Verhältnis zur Sprache. Sie sind imstande, ihr originelles Erleben, ihre originellen Beobachtungen auch in einer sprachlich originellen Form auszudrücken, sei es nun durch ungewöhnliche Wörter, von denen man annähmen müsste, sie lägen dem Alter oder dem Lebenskreis der Kinder ganz fern, oder sei es durch neugebildete oder wenigstens umgeformte Wörter, die oft ungemein treffsicher und bezeichnend, oft freilich auch recht abwegig sind. (S. 184)


Eigene Begriffe

Nicole Schuster: Ein guter Tag ist ein Tag mit Wirsing, Weidler Buchverlag: (....) Oft stoße ich im Alltag auf Begriffe, die meinem konkreten Verständnis von der Welt widersprechen. Was ist ein Lesezeichen? Ist es, wie ein Stoppzeichen ein Zeichen anzuhalten ist, ein Zeichen zu lesen? Treffender finde ich, von einem Seitenschnellfinder zu sprechen, und so nenne ich ein „Lesezeichen“ meistens auch. (S.200)



Axel Brauns: Buntschatten und Fledermäuse, Goldmann Verlag: (...) Der Arzt umwickelte mein linkes Bein mit Streifen, die feuchter waren als Mürbeteig. Von den Fesseln bis zur Hüfte umrollte er das Bein mit schneekaltem Wolkenweiß…. Ich spürte, wie aus der Feuchte die Kühle schwand. Schicht um Schicht wickelte der Arzt um mein Bein. Der feuchte Mürbeteig schäumte unter den Bewegungen seiner Finger. Der Arzt machte Geräusche. Eines seiner Worte hatte Klang. Bei dem kühlen, feuchten Wolkenweiß handelte es sich um Gips. Das Wort wickelte sich um meine Aufmerksamkeit. Der Papagei in mir plapperte es vergnügt nach und entspannt sah ich der Verweißung des anderen Beines zu. (S.47)


3.4.7 Eigener Humor

Eigenwillige Freude

Hans Asperger: Heilpädagogik 1965: (...) Ein bezeichnender Zug ist auch ihre Humorlosigkeit. Sie „verstehen keinen Spaß“, schon gar nicht, wenn er sich gegen sie selber richtet (das ist auch ein Grund mehr, warum sie so gehänselt werden). Sie können nicht richtig gelöst fröhlich sein, bringen es nicht zu jenem aus dem Gemüt kommenden Verstehen der Welt, das im echten Humor liegt. Sind sie einmal lustig, dann wirkt das meist unangenehm: übersteigert, verzerrt, ohne Maß, sie hüpfen und toben im Zimmer herum, werden besonders distanzlos, lästig, aggressiv. Nur in einem sind sie schöpferisch: im Wortwitz; angefangen von Wortverdrehungen, von Effekten, die sich aus dem Klang ergeben, bis zu scharf formulierten, wirklich gescheiten witzigen Aussprüchen. (S.193)


Fehlerhafte Übersetzungen

Sabine Kiefner: Ich bin Autistin - Asperger Syndrom bei Frauen: (...) Lachen konnte ich auch schon immer dann, wenn die Aussage eines Satzes durch ein falsch geschriebenes Wort oder durch eine fehlerhafte Übersetzung aus einer anderen Sprache ungewollt komisch wird, wie dies bei Bedienungsanleitungen häufig der Fall ist.
Wichtig ist, dass es sich hierbei nicht um das (Aus)lachen wegen des Fehlers handelt, sondern um die lustige Wortschöpfung und den dadurch entstehenden (Un)sinn einer Aussage. www.aspergerfrauen.wordpress.com


Mit Worten spielen
Sabine Kiefner: Ich bin Autistin - Asperger Syndrom bei Frauen: (...) Ich habe schon vom Kleinkindalter an gerne mit Worten gespielt und neue Wörter erfunden.
Über neue und besonders originelle Wortschöpfungen kann ich herzhaft lachen und mich lange und immer wieder an ihnen erfreuen. Manchmal werde ich dann richtig albern und kann gar nicht mehr aufhören, zu lachen.
Ein Beispiel waren die sogenannten Zungenbrecher (ein Wort, bei dem ich schon lachen muss, wenn ich mir dieses wortwörtlich vorstelle), mit denen ich mich stundenlang beschäftigen konnte und die mich wegen der immer neuen Wortschöpfungen zum Lachen und zum ständigen Wiederholen der oft komischen Wortkonstruktionen brachten. www.aspergerfrauen.wordpress.com


Eigene Betrachtungsweise

Nicole Schuster: Ein guter Tag ist ein Tag mit Wirsing, Weidler Buchverlag: (....) Ein Mensch mit Autismus mag daher amüsiert lachen, wenn andere in einer Diskussion vor Erregung laut und ausfallend werden. Mir ging es so, wenn Mitschüler vom Lehrer beschimpft wurden. Ich sah den Kopf des Lehrers, der sich langsam rot färbte, hörte, wie sich seine Stimme überschlug und er in seiner Aufgeregtheit unsachliche Äußerungen von sich gab. Das fand ich lustig, viel lustiger als Fernsehkomödien oder Witze…
Da ich sowieso nie beliebt in meiner Klasse war, brachte mir das noch mehr Schwierigkeiten ein…. Aber je stärker ich versuchte, nicht zu lachen, desto mehr musste ich lachen. (S. 231)