Nicole
Schuster: Ein guter Tag ist ein Tag mit Wirsing, Weidler Buchverlag:
(....) Die Redensarten und informellen Ausdrücke, welche die
Sprechweise der Mitschüler prägten, wollten mir nicht über die
Lippen gehen. Und wenn ich sie doch einmal ausprobierte, dann wirkten
sie wie abgelesen. Sie passten einfach nicht zu mir. Zu mir passte
eine steife, formale Sprache, die mit meinem Verhalten und meinem
äußeren Erscheinungsbild übereinstimmte. (S.236)
3.4.2
Ungewöhnliche Sprachmelodie
Gekünstelt wirkende
Sprache
Hans
Asperger: Heilpädagogik 1965: (...)
Wieder wird es uns nicht wundern, dass bei den Autistischen
auch jene kontaktschaffenden Ausdruckserscheinungen der Sprache
gestört sind. Bei den einzelnen Fällen gibt es sehr verschiedene
Möglichkeiten solcher Störung: einmal ist die Stimme auffallend
leise und fern, vornehm näselnd, dann wieder schrill, krähend,
unangepasst laut, dass es einem förmlich im Ohr weh tut; einmal geht
sie monoton dahin, ohne Hebung und Senkung, auch nicht am Ende des
Satzes, des Gedankens, ist ein leiernder Singsang – oder aber sie
ist übertrieben moduliert, wirkt wie eine schlechte Deklamation,
wird mit übertriebenem Pathos vorgetragen. Gemeinsam ist in allen
diesen Fällen: Die Sprache wirkt auch auf den naiven Zuhörer
„anders als normal“, unnatürlich, wie eine Karikatur, zu Spott
herausfordernd. (S.179)
Unter
Jugendlichen
Nicole
Schuster: Ein guter Tag ist ein Tag mit Wirsing, Weidler Buchverlag:
(....) „Nicole, sag mal was!“ „Warum?“ - „Ich will
deine Stimme hören, Sie hört sich so lustig an.“ Mädchengekicher
dringt an mein Ohr. Die blonde Jillian und ihre dunkelhaarigen
Freundinnen lachen. Sie gehen eng aneinander gedrängt, zarte
Mädchenschulter an Mädchenschulter über den Schulhof. Ich spaziere
in einigem Abstand nebenher. „Deine Stimme hört sich so komisch
an“ - Und wieder ihr Lachen. Es tut weh. S.236
Wechselnder
Sprechrhythmus
Werner
Kelnhofer: Ich bin Aspie!:
(...) Wenn ich meinen Eltern manche meiner Entdeckungen
und Erkenntnisse in Worten darlegen wollte, dann unterbrachen sie
mich sehr oft nach wenigen Sätzen mit der Bemerkung: “Bub, sing
nicht so!” Ich für meinen Teil empfand meine Rede als ganz normal,
aber meinen Eltern und auch anderen Erwachsenen war meine
Sprachmelodie (Intonation) offenbar unangenehm. So kam es, dass ich
manchmal sehr schnell sprach, um vor einem Abbruch seitens der
Zuhörer möglichst viel gesagt zu haben.
www.as-tt.de/html/ich_bin_aspie
3.4.3 Laut denken
Vorbereiten von
Gesprächen
Werner
Kelnhofer: (...)
Vor wichtigeren Gesprächen versuche ich mir immer alle mögliche
Varianten des Gesprächs vorzustellen und spiele diese durch,
meistens mit halblauter Stimme. Denn wenn ich die Worte spreche, höre
ich sie gleichzeitig und kann so ihre Melodie wahrnehmen. Diese
Melodie (nicht zu verwechseln mit der Modulation)
hilft mir, dass ich mir diese Wortkombinationen und Formulierungen
einprägen kann. Bei Umstellung der Worte innerhalb eines Satzes
verändert sich damit seine Melodie. Auch ist diese Satzmelodie bei
gesungenen Texten völlig unabhängig von der Melodie des Liedes. Vor
allem bei Telefongesprächen bräuchte ich diese Vorbereitung, aber
leider versagt hier diese Methode, denn zu oft meldet sich am anderen
Ende jemand anderes und dann war die Vorbereitung umsonst.
www.as-tt.de
3.4.4
Echolalie
Axel
Brauns: Buntschatten und Fledermäuse, Goldmann Verlag:
(...)
„Komm her Axel“,
sagte die Haha. Sie stand am Wacholder und rückte einen Korbstuhl
zurecht. Ich hüpfte herbei und wiederholte die Worte: „Komm her,
Aggel – komm her, Aggel – komm her Aggel.“
„Du sollst nicht immer
alles nachplappern.“
Das letzte Wort fand
Heimat bei mir, es klang so schön wie das Wort Näpfchen. Ich machte
es mir auf der Lolliwutschaukel gemütlich. Dabei rutschten Worte der
Freude heraus: „Nachplappern – nachplappern –
nachplappern.“„Hör auf! Du bist doch kein Papagei“
Eine vergnügte Stimme
hallte in mir wider: Papagei – Papagei- Papagei….“ (S.39)
3.4.5
Der Klang von Worten
Einige
autistische Menschen berichten, dass Sprache neben der reinen
Sachinformation noch einen individuell ästhetischen bzw. sehr
persönlich faszinierenden Charakter haben kann. Worte beeindrucken
durch ihren Klang oder durch synästhetische Verschmelzung von
Wahrnehmungskanälen. Sie werden z.B. mit Farben oder
Geschmacksempfindungen assoziiert.
Dieser
sinnlich faszinierende Aspekt kann so stark sein, dass er die
kommunikative Funktion der Sprache behindert oder sogar in den
Hintergrund treten lässt.
In
der Fachliteratur wird dieses Phänomen nur am Rande erwähnt. Tony
Attwood: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom, S. 256: „Manchmal
hört sich ein Wort für ein Kind komisch an oder es findet eine
bestimmte Bedeutung seltsam, sodass es anfängt zu lachen oder zu
kichern. Dann wiederholt es das Wort immer wieder, ohne dabei die
Absicht zu haben, diesen Spaß mit anderen zu teilen oder anderen zu
erklären, was an dem Wort so faszinierend oder witzig ist. Der Humor
ist idiosynkratisch, also eigenwillig und typisch für dieses Kind.
Das kann dem Lehrer oder den Eltern einige Rätsel aufgeben.“
Axel
Brauns: Buntschatten und Fledermäuse, Goldmann Verlag:
(...) Geblieben ist meine Art Humor, die mich oft schmunzeln
lässt, wo Nichtautisten kein Korn Komik erblicken. Kaum ein Leser
dürfte, falls er über das Wort Näpfchen gestolpert ist, ermessen
haben, wie glücklich ich mich schätze, ein so niedliches Wort
gleich zu Beginn in meinem Buch begrüßen zu können. (S.11)
Hugin:
Der Klang von Worten kann mich z. B. in der
Kommunikation aufhalten. Ich denke dann über dieses Wort nach, warum
es so seltsam klingt, prüfe, welchen Geschmack/Konsistenz es hat
(Worte haben für mich einen Geschmack / hinterlassen ein Gefühl im
Mund - schwer das zu beschreiben und auch nicht jedes Wort). Gurke
ist eines meiner interessantesten Wörter. Gurke hat so was raues und
ich kann mich immer wieder gern mit diesem Wort beschäftigen. Um
ehrlich zu sein, ich habe das schon immer sehr seltsam an mir
gefunden. Ich glaube, das war als Kind ein Problem für mich, all
diese Informationen zu verarbeiten und zu verstehen, dass Worte der
Kommunikation dienen und nicht dem sensorischen Empfinden. Wobei
Worte nur dann fühlbar sind, wenn ich selbst sie ausspreche, nicht
wenn ich sie höre.
3.4.6
Neologismen / kreativer Sprachgebrauch
Wortschöpfungen
Hans
Asperger: Heilpädagogik 1965:
(...) Diese Kinder, vor allem die intellektuell gut
Begabten unter ihnen, haben ein geradezu schöpferisches Verhältnis
zur Sprache. Sie sind imstande, ihr originelles Erleben, ihre
originellen Beobachtungen auch in einer sprachlich originellen Form
auszudrücken, sei es nun durch ungewöhnliche Wörter, von denen man
annähmen müsste, sie lägen dem Alter oder dem Lebenskreis der
Kinder ganz fern, oder sei es durch neugebildete oder wenigstens
umgeformte Wörter, die oft ungemein treffsicher und bezeichnend, oft
freilich auch recht abwegig sind. (S. 184)
Eigene
Begriffe
Nicole
Schuster: Ein guter Tag ist ein Tag mit Wirsing, Weidler Buchverlag:
(....) Oft stoße ich im Alltag auf Begriffe, die meinem
konkreten Verständnis von der Welt widersprechen. Was ist ein
Lesezeichen? Ist es, wie ein Stoppzeichen ein Zeichen anzuhalten ist,
ein Zeichen zu lesen? Treffender finde ich, von einem
Seitenschnellfinder zu sprechen, und so nenne ich ein „Lesezeichen“
meistens auch. (S.200)
Axel
Brauns: Buntschatten und Fledermäuse, Goldmann Verlag:
(...) Der Arzt umwickelte mein linkes Bein mit
Streifen, die feuchter waren als Mürbeteig. Von den Fesseln bis zur
Hüfte umrollte er das Bein mit schneekaltem Wolkenweiß…. Ich
spürte, wie aus der Feuchte die Kühle schwand. Schicht um Schicht
wickelte der Arzt um mein Bein. Der feuchte Mürbeteig schäumte
unter den Bewegungen seiner Finger. Der Arzt machte Geräusche. Eines
seiner Worte hatte Klang. Bei dem kühlen, feuchten Wolkenweiß
handelte es sich um Gips. Das Wort wickelte sich um meine
Aufmerksamkeit. Der Papagei in mir plapperte es vergnügt nach und
entspannt sah ich der Verweißung des anderen Beines zu. (S.47)
3.4.7
Eigener Humor
Eigenwillige
Freude
Hans
Asperger: Heilpädagogik 1965:
(...) Ein bezeichnender Zug ist auch ihre
Humorlosigkeit. Sie „verstehen keinen Spaß“, schon gar nicht,
wenn er sich gegen sie selber richtet (das ist auch ein Grund mehr,
warum sie so gehänselt werden). Sie können nicht richtig gelöst
fröhlich sein, bringen es nicht zu jenem aus dem Gemüt kommenden
Verstehen der Welt, das im echten Humor liegt. Sind sie einmal
lustig, dann wirkt das meist unangenehm: übersteigert, verzerrt,
ohne Maß, sie hüpfen und toben im Zimmer herum, werden besonders
distanzlos, lästig, aggressiv. Nur in einem sind sie schöpferisch:
im Wortwitz; angefangen von Wortverdrehungen, von Effekten, die sich
aus dem Klang ergeben, bis zu scharf formulierten, wirklich
gescheiten witzigen Aussprüchen. (S.193)
Fehlerhafte
Übersetzungen
Sabine
Kiefner: Ich bin Autistin - Asperger Syndrom bei Frauen:
(...) Lachen konnte ich auch schon immer dann, wenn die
Aussage eines Satzes durch ein falsch geschriebenes Wort oder durch
eine fehlerhafte Übersetzung aus einer anderen Sprache ungewollt
komisch wird, wie dies bei Bedienungsanleitungen häufig der Fall
ist.
Wichtig ist, dass es sich
hierbei nicht um das (Aus)lachen wegen des Fehlers handelt, sondern
um die lustige Wortschöpfung und den dadurch entstehenden (Un)sinn
einer Aussage.
www.aspergerfrauen.wordpress.com
Mit
Worten spielen
Sabine
Kiefner: Ich bin Autistin - Asperger Syndrom bei Frauen:
(...) Ich habe schon vom Kleinkindalter an gerne mit
Worten gespielt und neue Wörter erfunden.
Über neue und besonders originelle Wortschöpfungen kann ich herzhaft lachen und mich lange und immer wieder an ihnen erfreuen. Manchmal werde ich dann richtig albern und kann gar nicht mehr aufhören, zu lachen.
Über neue und besonders originelle Wortschöpfungen kann ich herzhaft lachen und mich lange und immer wieder an ihnen erfreuen. Manchmal werde ich dann richtig albern und kann gar nicht mehr aufhören, zu lachen.
Ein Beispiel waren die
sogenannten Zungenbrecher (ein Wort, bei dem ich schon lachen muss,
wenn ich mir dieses wortwörtlich vorstelle), mit denen ich mich
stundenlang beschäftigen konnte und die mich wegen der immer neuen
Wortschöpfungen zum Lachen und zum ständigen Wiederholen der oft
komischen Wortkonstruktionen brachten.
www.aspergerfrauen.wordpress.com
Eigene
Betrachtungsweise
Nicole
Schuster: Ein guter Tag ist ein Tag mit Wirsing, Weidler Buchverlag:
(....) Ein Mensch mit Autismus mag daher amüsiert lachen,
wenn andere in einer Diskussion vor Erregung laut und ausfallend
werden. Mir ging es so, wenn Mitschüler vom Lehrer beschimpft
wurden. Ich sah den Kopf des Lehrers, der sich langsam rot färbte,
hörte, wie sich seine Stimme überschlug und er in seiner
Aufgeregtheit unsachliche Äußerungen von sich gab. Das fand ich
lustig, viel lustiger als Fernsehkomödien oder Witze…
Da ich sowieso nie beliebt in meiner Klasse war, brachte mir das noch mehr Schwierigkeiten ein…. Aber je stärker ich versuchte, nicht zu lachen, desto mehr musste ich lachen. (S. 231)
Da ich sowieso nie beliebt in meiner Klasse war, brachte mir das noch mehr Schwierigkeiten ein…. Aber je stärker ich versuchte, nicht zu lachen, desto mehr musste ich lachen. (S. 231)